Mein Lebensmosaik


Ich hatte viele Namen, für jeden Lebensabschnitt einen anderen. Erst jetzt, im Alter, zeigt sich mir, dass die vielen Unterschiedlichkeiten unverzichtbare Gestaltungselemente meines persönlichen Lebensmosaiks sind.


Kindheit und Jugend

Rosemarie mit ihrer Mutter (1940)
Mein Taufname ist Rosemarie Philomena Josefine Dubkowitsch.
Ich erblickte am 22. Dezember 1939 als uneheliches Kind der noch nicht einmal achtzehnjährigen Anna Dubkowitsch das Licht einer Welt, für die kurz zuvor (am 1. September 1939) eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, der zweite Weltkrieg, begonnen hatte. Meinen Vater, einen gewissen Josef Krejci, lernte ich nie kennen. Anfänglich unterbanden meine Mutter und deren Familie jede Kontaktaufnahme. Später, als ich dreizehn Jahre alt war, lehnte ich selbst eine Begegnung mit ihm ab.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs heiratete meine Mutter den Schneidermeister Engelbert Schwarz. Demzufolge hieß ich, als ich zur Schule kam, Rosemarie Schwarz. Keine meiner Schulfreundinnen wäre auf die Idee gekommen, ich hätte einen Stiefvater. Rückblickend kann ich sagen, dass Engelbert für mich ein idealer Vater, später ein idealer Großvater für meine Töchter ebenso wie ein idealer Urgroßvater für meine Enkelkinder war. In diesem Sinn hätte der Griff meiner Mutter bei der Wahl ihres Ehegatten besser nicht sein können.
Ich war eine gute Schülerin, besuchte nach der Volksschule die Frauenoberschule, wonach ich an der Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität) studierte. Meine ersten beruflichen Sporen verdiente ich mir als Werbeassistentin bei Philips und bei Bernhard Altmann, einem führenden Hersteller für Damenmoden.


Die Ehe mit Claus Mayrhofer-Barabbas

Barabbas: Wardi, 1965, Öl auf Leinwand, 70 x 60 cm
Am 10. Mai 1964 hatte ich mein erstes Rendezvous mit Barabbas, am 10. Juni 1964 heirateten wir. Er nannte mich Wardi. Wardi ist das arabische Wort für Rose. Barabbas galt in den 1960er Jahren als einer der schrägsten Bohemiens der Wiener Szene, der als leibhaftiger Bürgerschreck im Wien der Nachkriegszeit mit langen Haaren und giftgrünen Hosen durch die grauen Straßen lief, bunte Bilder malte und  bizarren Freejazz spielte.
Eigentlich hieß er Claus Mayrhofer, doch das wusste kaum jemand. Bisweilen sah es ganz danach aus, als wüsste er es selbst nicht. Zu sehr identifizierte er sich mit dem Namen Barabbas, den er sich als Fünfzehnjähriger sozusagen als „Nom de Guerre“ zugelegt hatte, damals, als ihn Padhi Frieberger, Wiens subkultureller Künstler und Hippie der ersten Stunde, unter seine Fittiche genommen hatte und er erkannte, dass er Künstler sei.
Vom Tag unserer Hochzeit an war ich für alle, die mich kannten, Wardi Miriam Barabbas und nicht, wie in der Heiratsurkunde verbrieft, Rosemarie Mayrhofer. Hand in Hand mit meiner Zugehörigkeit zu Barabbas erfolgt meine Zugehörigkeit zur Wiener Kunstszene.
Als Ehefrau und Muse eines aufstrebenden Künstlers fühlte ich mich dazu berufen, keine Anstrengungen zu scheuen, um Alltagsprobleme von ihm fernzuhalten. Dazu fühlte ich mich nach der Geburt unserer drei Töchter, Chadidja, Esther und Daphne, außerstande. 1971 kam es zur Scheidung.



Schicksalskarten werden neu gemischt

Rosemarie: Stillleben mit Orange, 1975. Öl auf Malkarton, 40 x 30 cm
Die darauffolgenden Jahre arbeitete ich als Wirtschaftsredakteurin beim Jupiter-Verlag. Auf diese Weise gelang es, das Leben für mich und meine Kinder zu finanzieren. Zudem fand ich einen Lehrer, der mich in altmeisterlicher Maltechnik unterrichtete. In meiner Freizeit, zumeist nachts, malte ich Bilder, die ausgestellt wurden und Anklang fanden.
Als ich 1974 Otto Sebek kennen lernte, war das eine Zeit, in der die Umweltbewegung einer ersten Blütezeit entgegensteuerte. Der Begriff „Biologisch“ war für uns von magischer Anziehungskraft. Ein Zauberwort für gesundes Leben im Einklang mit der Natur. Wir waren bestrebt, mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen verantwortungsbewusst umzugehen, was eine starke Hinwendung zu „alternativen Lebensstilen“ zur Folge hatte.   


Vornholz 

Rosemarie: Persenbeug, 1983, Öl auf Leinwand, 1983, 50 x 60 cm
Gleich nach meiner Eheschließung mit Otto Sebek (1976) wurde der Erwerb einer Nebenerwerbslandwirtschaft im südlichen Waldviertel spruchreif. Wir brachen unsere Zelte in der Stadt ab und übersiedelten nach Vornholz, einen Bauernhof mit vier Hektar Feld- und Wiesengrund in der Nähe von Persenbeug. Dort betrieben wir biologischen Anbau, züchteten Milchschafe und produzierten Schafkäse. Letzteres war unsere Haupteinnahmequelle. Ich beschäftigte mich mit der Verarbeitung von Schafwolle, lernte spinnen und webte Schafwollteppiche. In den Jahren meines Landaufenthalts (1976–1985) widmete ich mich, inspiriert von der schönen Landschaft des südlichen Waldviertels, vermehrt der Malerei und hatte Ausstellungen in Melk, Ybbs, Persenbeug, Amstetten und auf der Mollenburg.


Mein Leben bei der Zeitschrift „e&i“

Professor Heinz Zemanek und Rosemarie Sebek
1985 kehrte ich nach Wien zurück. Es begann meine Arbeit als Redaktionsmitglied bei der technischen Fachzeitschrift „e&i Elektrotechnik und Informationstechnik“ (Verlag: Springer-Verlag, Herausgeber: ÖVE, Österreichischer Verband für Elektrotechnik). Nach kurzer Einschulungszeit wurde mir mehr und mehr Verantwortung übertragen und ab dem Jahr 1995 war ich Stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift, in der damaligen Zeit ein Novum für eine Frau. Schließlich war die Technik – und ist es auch heute noch - eine ausgesprochene Männerdomäne. Oft nahm ich als einzige Frau an Fachtagungen und Pressekonferenzen teil. Das war nicht nur für mich, sondern auch für meine männlichen Kollegen gewöhnungsbedürftig. Darüber hinaus zählte es zu meinen speziellen Aufgaben, als Ghostwriterin für hochrangige Techniker einzuspringen, wenn in der Zeitschrift Beiträge mit „philosophischem Touch“ gefragt waren. 1995 wurde ein von mir verfasster Text, wenngleich aus der Sicht der Techniker eher ungewöhnlich, in das Leitbild des ÖVE aufgenommen, das zur Zukunftsvision europäischer Elektro- und Informationstechniker hochstilisiert wurde. Daher nannte mich Herr Professor Heinz Zemanek, der Konstrukteur des legendären „Mailüfters“ (des ersten europäischen Computers), die Bardin des ÖVE, die Eschenbacherin, die ihre Minnegesänge auf die Elektrotechnik loslässt.
Ein paar Tage nach meinem sechzigsten Geburtstag, am 31. Dezember 1999, beendete ich mein Journalistendasein. Von diesem Zeitpunkt an konnte ich mich ungehindert meinen eigenen Schriften widmen. 



Philomena

Philomena (Rosemarie)
Bereits als Vierjährige hatte ich begriffen, dass Kindern von Engeln, Elfen und Feen erzählt wird, obwohl die meisten Erwachsenen deren Existenz nicht nur anzweifeln, sondern ganz und gar für unmöglich halten. Mir hingegen zeigten sich diese wundersamen Wesen, wenn ich auf der Wiese spielte, durch den Wald lief oder in den Stunden der Morgen- und Abenddämmerung wach im Bett lag. Ich fragte mich, weshalb Erwachsenen – und, was mich noch nachdenklicher stimmte, auch alle meine Freunde und Freundinnen – vieles, das sie umgab, nicht wahrnahmen. Sahen und hörten sie schlechter als ich? Mir blieb nichts anderes übrig, als die mangelnde Wahrnehmungsfähigkeit meiner Mitmenschen zur Kenntnis zu nehmen, und beschloss, meine Erlebnisse mit feinstofflichen Wesenheiten für mich zu behalten.

Später ging ich dieser Fähigkeit verlustig, doch um mein fünfundvierzigstes Lebensjahr, die Zeit der Lebensmitte, setzte es wieder ein, und zwar stärker als je zuvor, dass ich Dinge sah und hörte, die andere Menschen nicht sahen und hörten. Von dieser Zeit an, begann ich eine Art Doppelleben zu führen. In der Berufswelt und für meine alten Freunde war ich als Rosemarie Sebek recht erfolgreich unterwegs, andererseits bürgerte es sich ein, dass ich in neugeistig-orientierten Kreisen Philomena genannt wurde. Unter diesem Namen schrieb ich dann auch meinen ersten Roman und übermittelte Raphaels Botschaften an die Menschen der Zeitenwende, die 2007 in dem Buch „Raphael. Der Weg in die Freiheit“ veröffentlicht wurden.

2009 starb Barabbas in Australien. Nach seinem Tod baten mich meine Töchter, ihnen bei der Sichtung und Aufarbeitung des künstlerischen Werks ihres Vaters behilflich zu sein. Das brachte für mich erneut eine Annäherung an die Wiener Kunstszene mit sich. Hand in Hand damit begann ich, meine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Der Erinnerungsroman „Er nannte mich Wardi“ ist 2013 erschienen.


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